Eine der Erfolgsgeschichten der Wirtschaftsinformatik in den 90er Jahren war die Verbindung von Geschäftsprozessorientierung und Informationsmanagement. Die neuen digitalen Möglichkeiten haben die existierenden Praktiken des betrieblichen Managements fundamental verändert. Aus betrieblicher Sicht überwog der erwartbare Nutzen einer IT-Unterstützung alle Kosten der Veränderung einer „analogen“ betrieblichen Praxis bei weitem.
Die heutige Welt ist komplexer. Kosten und Aufwände von Digitalisierungsprozessen sind schrittweise präsenter geworden (früh z.B. in der Total-Cost-Of-Ownership-Studie Ende der 90er, heute z.B. im Weißbuch „Industrie 4.0“). Die Konzeption und Einführung neuer technologischer Konzepte findet zudem nicht mehr auf der grünen Wiese statt, sondern muss sich immer stärker an den bereits existierenden IT-gestützten Praktiken messen lassen. Mit anderen Worten, wir sind mittendrin im Prozess der Digitalisierung, nicht an seinem Anfang.
Selbst in noch jungen Anwendungsdomänen mit relativ niedrigem Digitalisierungsfaktor müssen anspruchsvolle Rahmenbedingungen beachtet werden (z.B. private und öffentliche Interessen im Gesundheitsbereich oder im Krisenmanagement, oder extrem hohe Investitionskosten im Produktionssektor). Nimmt man dann noch Beispiele zur Kenntnis, nach denen nicht das Management, sondern die Mitarbeiter lokale Treiber der Digitalisierung sind (wenn sie z.B. WhatsApp-Gruppen auf privaten Handys benutzen, um Teile des Produktionsmanagements abzuwickeln), wird klar, dass unsere Disziplin von einer stärkeren Einbeziehung existierender Arbeits- und Organisationspraxis nicht nur als Risikomanagementstrategie, sondern auch als Innovationsgenerator nur profitieren kann.
Wenn es dann darum geht, nicht nur für, sondern mit allen Ebenen betrieblicher Praxis zu forschen, muss eine Wissenschaftsdisziplin auch die eigene methodische Praxis in diese Richtung neu erfinden. Hierbei kann uns die traditionell enge Verbindung mit Unternehmen und deren Präsenz in unseren Diskussionsforen helfen.